Ende Oktober - ab in die Provence

30.10.2020

Machmal kommt es anders, als man denkt. In D wird beschlossen, in wenigen Tagen wieder (fast)  alles coronabedingt dichtzumachen, in F gelten schon ab Freitag, also heute, wo ich gerade diese Zeilen in der Provence schreibe, sehr strenge Ausgangsbeschränkungen und alles, wirklich alles, wird geschlossen. Außer Lebensmittelgeschäfte und Werkstätten. Mein geplantes Wochenende in Norddeutschland ist geplatzt und ich bin -extrem spontan- einen Tag vor dem Zellenarrest, was "lockdown" ja übersetzt so heißt, nach Südfrankreich gefahren. Wie bekloppt ist das denn?!

Donnerstag nachmittag gehts los. Mein erster Stopp ist bei Lausanne am Genfersee. Hundi freut sich auf eine Pause, Spaziergang am Wasser und leckeres Futter. Es ist natürlich schon dunkel und etwa 19 Uhr. Die Weiterfahrt gestaltet sich zügig, hinter Grenoble endet die Autobahn. Die dann noch gute 150 Kilometer über die D1075, auch als RN 75 bekannt, sind sehr kurvig, aber flott.

Auf dem Weg zur Chapelle St. Joseph
Auf dem Weg zur Chapelle St. Joseph

Gegen 23 Uhr haben wir es dann endlich geschafft. Ankunft bei Freunden. Ein gute-Nacht-Bier und dann ab in die Koje.
Am Freitag bin ich mit Hundi allein und kann den Vormittag von dort einige Dinge für meine Arbeit erledigen. Dann machen wir einen schönen Spaziergang bei herrlichem Sonnenschein. Die steilen Hänge, die wir gehen, geben schon einen Vorgeschmack auf die tags zuvor gewonnene Idee, zur Chapelle St. Joseph zu wandern. Die Wahrscheinlichkeit, in den Bergen von der Gendarmerie wegen der Ausgangssperre kontrolliert und abkassiert zu werden, geht gegen null. (Es hätte pro Nase 135 € gekostet. Im Zweifel eine teure Wanderung.)

Abends gibt es es ein schönes gemeinsames Essen und wir plauderten reichlich lange. Deutsches Bier statt französischer Wein. Alle finden es süperr.

Am Sonnabend schlafen wir relativ lange, zumindest für Hundehalter. Es ist schon acht Uhr und ich springe aus den Federn. Mein Hund ist tatsächlich so gnädig und hat mich recht lange schlafen lassen. Aber eine lange Autofahrt, davon haben auch hartgesottene Hunde schnell die Schnauze voll und haben ein erkennbar großes Erholungsbedürfnis. Ein Hund ist ja schließlich auch nur ein Mensch - manchmal jedenfalls.
Der Tag frohlockt bereits mit knallblauem Himmel und Sonne satt. Dabei der Blick auf die schönen Berge und ein nettes Frühstück vor der pisçine auf der Terrasse. So schnell kann Urlaub gehen!
Der Tag frohlockt bereits mit knallblauem Himmel und Sonne satt. Dabei der Blick auf die schönen Berge und ein nettes Frühstück vor der pisçine auf der Terrasse. So schnell kann Urlaub gehen!

Danach machen wir uns auch schon auf den Weg. Mein Freund drängelt nämlich schon, weil er befürchtet, auf dem Rückweg in die Dunkelheit zu geraten. Der Weg mit dem Auto ist nicht weit sein, um von dort dann loszumarschieren. Trotzdem: bei Dunkelheit in den Bergen wäre es dann nicht mehr lustig.

Wir starten hinter Volonne, das ist richtig im Nirgendwo. Sehr ländlich, wie im Prinzip die gesamte Provence. Wir kommen noch an zwei Höfen vorbei, die einerseits so abgeschieden und idyllisch liegen, dass man schwärmen möchte. Aber ob das wirklich alltagstauglich ist? Kein Bäcker, kein kleiner Laden als Einkaufsmöglichkeit, kein Arzt, kein nichts. Und dann täglich zur Arbeit. Und dann kilometerweit über dicke Steine, mehr Weg als Straße, mit dem Auto dahinpoltern. Irgendwo muss man ja arbeiten. Oder nur zu Hause auf dem Hof? Klar - wenn man Bauer ist. Oder es sich als erfolgreicher Künstler oder Schriftsteller leisten kann. Alles andere scheidet eigentlich aus. Mein Freund wollte dort vor Jahren tatsächlich ein uraltes Haus erwerben. Wir diskutieren kurz, aber intensiv, darüber. Die Kaufidee zerschlug sich. Gott sei dank, denke ich. Mein Freund schweigt. Und nickt. Oder war das wegen des holprigen Weges?


Da waren wir. Sieht unspektakulär aus
Da waren wir. Sieht unspektakulär aus

Wir stellen schließlich das Auto neben der Schotterpiste ab, nehmen unsere Rucksäcke, die wir selbstverständlich mit Brotzeit, Trinkgefäß für die Hunde & Getränken befüllt haben und wandern los.

Es geht natürlich relativ steil weiter. Im Auto merkten wir den Anstieg auch schon. Niemand vor uns, niemand hinter uns. Weit und breit wunderschöne Ruhe und ein Wetter wie im Frühling. Aber wir haben den 31. Oktober. Nach wenigen Metern, wir können es kaum glauben, kommt ein Paar reichlich flotten Schrittes daher und überholen uns. Etwa gleichen Alters, schätzen wir. Sie überholen uns, wir tauschen ein paar Sätze aus. Die beide trocken, wir schon sehr am Schwitzen. Dabei haben wir das Paar nicht bemerkt, als wir mit dem Auto fuhren. 
Aufstieg. Ganz schön anstrengend
Aufstieg. Ganz schön anstrengend

Wir wählen einen kleinen Pfad links rein und ich ahne schon, das wird schweißtreibend. Wie recht ich haben sollte. Mäßig geht der Anstieg kontinuierlich voran. Zwischendurch halten wir, um zu trinken und die Aussicht zu genießen, denn die ist wundervoll! Durch dichtes Laub führt uns der Pfad immer weiter. Auf dem gegenüberliegenden Hang sehen wir eine, nein, zwei Höhlen. 
Im jugendlichen Eifer beschließen wir, morgen hierher zurückzukehren, um eine der Höhlen zu erkunden.
Schließlich kommen wir bei sonnenreichen wie noch angenehmen Temperaturen oben auf dem Gipfel der Chapelle St.-Joseph an.

Die Kapelle hatte früher natürlich eine starke Bedeutung, wird als solche aber längst nicht mehr genutzt und ist fast dem Verfall preisgegeben. Aber es gibt Engagierte aus einigen Dörfer im Tal, die sich bemühen, das alte Gemäuer so gut wie es eben geht, mit baulicher Eigenarbeit zu schützen. In Deutschland würde wahrscheinlich eine Bürgerinitiative dazu gegründet und Spenden gesammelt werden. So oder so eine sinnvolle Aktion.
Wir machen also eine ZEN-gleiche Vesper auf der Holzbank, packen unsere Wegzehrung aus 

und siehe da: zwei große kühle deutsche Biere! Mein Freund versteht es immer wieder, mich zu überraschen. Ich hatte nicht bemerkt, dass er die Zusatzlast unbemerkt raufgeschleppt hat. Wir sind steil des Weges nun also 1257 Meter oben in den Bergen. Ruhe. Sonne. Nichts und niemand weit und breit - außer uns, klare Luft und weiter Blick.

Bereit zum Abstieg
Bereit zum Abstieg

Gegen 16 Uhr müssen wir uns wieder zum Abstieg aufmachen, damit wir nicht in die Dunkelheit kommen. Dieser ist nicht minder schön. Obwohl wir denselben Weg zurückgehen, haben wir eine andere Perspektive und genießen die Strecke zurück. Am frühen Abend sind wir zurück, es gibt kühle Getränke, Dusche, Aperitif und ein herrliches Abendessen unter Freunden. Und gute Gespräche. Was kann das Leben doch schön sein! Wir beschließen eine Wanderung in unmittelbarer Umgebung für den nächsten Tag, den ersten November. Wir brauchen das Auto also nicht zu bemühen.

Höhle, die nicht ohne weiteres erreichbar ist
Höhle, die nicht ohne weiteres erreichbar ist

Am zweiten November gehen wir dann die Höhlenwanderung an. Kartenmaterial haben wir keines. Wir tapern los, stellen aber alsbald fest, dass das gar nicht so einfach ist, dabei immer die relativ früh einsetzende Dunkelheit im Hinterkopf, den rechten Zugang zu finden. Vielmehr erstmal die Wegstrecke in die richtige Richtung. Wir werden zwar fündig, aber dazu müssten wir ziemlich schräg am Abhang eines Waldes mit unendlich viel Laub kraxeln, was uns dann letztendlich veranlasst, die Höhlen Höhlen bleiben zu lassen und wir auf einem ebenen, gut ausgebauten Feldweg einen großen Rundweg machen. Wir sind froh über die richtige Entscheidung. Auf dem Weg sehen wir im weiteren Verlauf nämlich, dass nach dem Abhang ein weiterer steiler Aufstieg und dann ein erneuter Abstieg nötig gewesen wäre. Das hätten wir nie an einem Tag geschafft. Stattdessen palavern wir angeregt über Gott und die Welt, machen auf einem keinen Plateau Pause in der Sonne, um dann entspannt irgendwann später wieder am Auto anzukommen.

Wir lassen den letzten gemeinsamen Abend ausklingen bei gutem Essen, reflektieren unsere kleinen Exkursionen und versprechen uns, eine solche spontane Aktivität zu wiederholen; ein paar Tage zusammen wandern, essen, plaudern - die Pandemie kann uns mal!

Zwei Freunde
Zwei Freunde

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